Frau Reimerlei schafft sich ab, indem sie jetzt Hilfe zur Selbsthilfe gibt. Anlass dafür, die neue Seite Persönliches Gedicht einzurichten, waren einige gar gruselige Anzeigen in den bekannten Wuppertaler Gazetten. Was da zum Geburtstag, zur Geburt und zur Hochzeit schwarz auf weiß (und manchmal sogar farbig) gedruckt zu lesen steht, tut mitunter doch weh. Und sogar einige Traueranzeigen habe ich entdeckt, die kein Verstorbener verdient hat. Darum gibt es jetzt die 10 Tipps für verhinderte Dichter, gewürzt mit ein paar passenden Zitaten des genialen Wilhelm Busch aus seiner Bildergeschichte Balduin Bählamm.
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Was mit Büchern machen …
Das Interview ist nicht mehr ganz taufrisch, aber trotzdem noch aktuell. Leander Wattig ist einer, der sehr viel mit Büchern und fürs Buch macht und eine großartige Plattform ins Leben gerufen hat, um die Buchbranche miteinander zu vernetzen. In einer Interview-Reihe stellen sich „Büchermenschen“ dort vor und erzählen von ihrer Beziehung zu Büchern. Einige sind Buchhändler, andere Verleger – die schreibende Zunft ist ebenso vertreten wie die produzierende, also die Buchhersteller und -gestalter. Mir gefällt die Seite, weil sie so viele Einblicke bietet und Menschen zeigt, die auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemeinsam haben. Aber sie alle sind durch ihre unterschiedliche Beziehung zu Büchern miteinander verbunden.
Gebt mir ganze Sätze!
Manchmal wünsche ich mir die umständlichen Zeiten zurück, in denen Sätze noch mehr als einen Nebensatz haben durften und trotzdem verstanden wurden. Der Werbe- und Gebrauchstexter von heute muss sich kurz fassen. Aktiv schreiben. Die Leser ans Händchen nehmen und davon ausgehen, es handele sich um eher begriffstutzige und vor allem tendenziell bequeme (um nicht zu sagen: faule) Zeitgenossen, die ihren Text als Gehirnfood happenweise auf einem bunten Tellerchen serviert bekommen möchten. Wir sind eben keine Schriftsteller. Müssen wir darum davon ausgehen, dass unsere Leser gar nicht lesen wollen?
Dies soll kein Plädoyer für verschwurbeltes, kompliziertes Schreiben sein, aber es nervt mich gerade nach dem zigsten Fachbuch zum Thema ein wenig. Vielleicht ist es selektive Wahrnehmung, aber mich öden diese Texte extrem an, die getreu nach Setzkastenprinzip angefertigt werden. Ich ertappe mich immer häufiger dabei, dass ich auch „Stakkato“ schreibe. Natürlich muss zwischendurch immer mal wieder ein Satz mit Nebensatz rein, wegen Rhythmus und so. Aber bloß nicht kompliziert! Immer dran denken: Der Leser will das, was ich schreibe, im Grunde gar nicht lesen. Er will es allenfalls schnell verstehen und abhaken.
Ich glaube, wir brocken uns das konsequent selbst ein. Und ich frage mich, geht dann nicht auch stückchenweise die Lesekompetenz zurück? Alles wird so übersichtlich angerichtet, mit Bildern garniert – leichte Lesekost. Wie hat sich die Aufmachung der Illustrierten verändert! Früher gab es in solchen Blättchen wie der Brigitte oder Freundin auch schon viel zu gucken, aber auch einiges zu lesen. Mir scheint, die Artikel werden immer kürzer. Oder nur immer häufiger durch allerlei Firlefanz unterbrochen. Die Leserin braucht anscheinend bereits nach wenigen Zeilen eine Pause, einen Störer, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht, eine Grafik, ein Foto…
Gerade lese ich meinem Jüngsten die Sams-Bücher vor, die alten, nicht die Neuauflagen. Eine solche Aufmachung würde man heute keinem Kind mehr zumuten. Schwarz-Weiß-Illustrationen, und dann auch nur so wenige. Keine farbigen „Verweil“-Bildchen überall. Furchtbar lange Kapitel. Da braucht man Ausdauer beim Lesen – und auch beim Vorlesen. Man merkt Paul Maar die Lust am Fabulieren an. Er hat wohl nicht viel Rücksicht auf die Zielgruppe genommen, er hat lange Sätze geschrieben, mit ganz vielen Nebensätzen. Ich will gar nicht zurück zu dieser schlichten und eingeschränkt kindgerechten Gestaltung. Aber der Trend zu immer bunteren Büchern mit immer mehr Bildanteil bei immer weniger Text in immer größerer Schrift ist klar da. Ist ja auch sinnvoll, für Erstleser beispielsweise. Große Fibeldruckschrift, durch Bilder aufgelockerter Text, super. GU (Der Gräfe & Unzer Verlag) hat nicht zuletzt deswegen so viel Erfolg, weil er Bilderbücher in Erstleser-Format für Erwachsene produziert. Da muss niemand sich durch öde Buchstabenwüsten ackern, so ein Buch zum Thema Garten, Kochen, Tier oder sonstigem Hobby ist hübsch bebildert, man pickt sich raus, was man lesen möchte, zur Not reicht es auch, wenn man nur die Kurzinfos in den Kästchen liest, da ist alles meistens noch mal zusammengefasst. Huch, das waren jetzt aber zu viele Kommas, ganz schlecht strukturierter Satz. Wollte ich so. Und nach dieser kleinen Trotzattacke schreibe ich jetzt wieder ganz vorschriftsmäßig, maximal ein Nebensatz. Keine Einschübe. Klares Textersprech.
Vom Schreiben zum Lesen mit TINTO
Mein jüngster Sohn ist mit seinen gerade mal sechs Jahren schon ein kleiner Texter. Überhaupt sind viele Erstklässler heute von Anfang an Schriftsteller, denn auch seine Klassenkamerad/inn/en schreiben nach wenigen Wochen Unterricht schon völlig selbstständig erste Texte, lange bevor sie flüssig lesen können. Das Prinzip heißt „Lesen durch Schreiben“ und hat in vielen Grundschulen das altbekannte umgekehrte Prinzip abgelöst. Während früher zunächst gelesen und dann erst geschrieben wurde, dürfen Kinder heute sofort loslegen mit dem Schreiben. Das funktioniert mit Anlauttabellen, die das Auffinden der einzelnen Laute ermöglichen. A wie Affe, E wie Elefant und so weiter. Die Anlauttabelle wird spielerisch eingeübt, die Kinder singen und „rappen“, klatschen Silben, tanzen, bewegen sich – es ist unglaublich, wie schnell sie das Ganze so lernen und verinnerlichen. Statt der langweiligen Fibel nutzt mein i-Dötzchen das Tinto-Buchstabenhaus als Anlauttabelle. Und so kommt es, dass er und seine Mitschüler/innen frei von der Leber weg schreiben, mit ganz vielen Fehlern, die verdeutlichen, was für ein komplexer Prozess der Schrifterwerb ist. Hören, sprechen, schreiben, lesen – eins führt zum anderen. Für alle Eltern, die sich näher mit diesem Konzept befassen möchten, bietet der Cornelsen Verlag eine Informationsseite an: Schreiben und Lesen mit TINTO.
So erklärt sich auch „LIBMAMAONTPAPABTMÜSLI“. Alles zusammen, ohne Abstände, denn Wortanfang und Wortende erkennen die Kinder oft noch nicht eindeutig. Das e bei liebe ist ein stummes e, es wird oft so „verschluckt“, dass es kaum zu hören ist. Das lange i, also ie, ist nach drei Schulwochen ebenfalls noch unbekannt. Mama, Papa sind vertraute Wörter, viele Kinder könnnen sie schon vor Schulbeginn schreiben. Zudem werden sie genau so geschrieben, wie sie gesprochen werden. Zum ONT führt ein falsch interpretiertes U. Bei BT hat der Jüngste die Vokale einfach vergessen. MÜSLI hat er zum ersten Mal und gleich richtig geschrieben, ist ja auch ein starkes Wort, bei dem jeder Buchstabe betont wird. Das alles hat er ganz allein und aus eigener Motivation geschafft, nach so kurzer Zeit!
Geschrieben wird zunächst in Druckbuchstaben, der „Leseschrift“. Auf der Anlauttabelle sind schon kleine und große Buchstaben aufgeführt, auch wenn viele Kinder bislang nur Großbuchstaben kennen und so beispielsweise schon vor der Schule ihren Namen und andere erste Wörter schreiben können. Die Schreibschrift kommt erst später hinzu.
Diesen Lernprozess und die schnellen Fortschritte finde ich wahnsinnig spannend und für die Kinder enorm motivierend. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Text des Jüngsten im Hause Reimerlei.
Nachtrag 28.09.2012: Eben habe ich zufällig die in diesem Zusammenhang interessante Seite einer Autorin mit dem Beitrag „Die Probleme beim Erlernen der deutschen Schriftsprache“ entdeckt.
Nachtrag 09.10.2013: Das Thema scheint zu polarisieren, besonders nach dem sehr unzureichend recherchierten, reißerischen Titelthema des Spiegels „Die neue Schlechtschreibung“. Zitiert wird unter anderem auch der Germanist und Sprachforscher Wolfgang Steinig. Dessen Äußerungen lesen sich im Spiegel-Artikel jedoch ganz anders als seine differenziertere Kritik auf Grundlage der aktuellen Studie (die den Spiegel im Juni bewog, genüsslich die Rechtschreibkatastrophe auszurufen) in der Thüringer Allgemeinen Zeitung „Die Schule muss Kindern mehr zutrauen“.
Allerdings finde ich auch in diesem Text einige Aussagen, die ich nicht bestätigen kann. So gibt es Fehlerkontrollen und Rotstift ab der 2. Klasse, die Kinder prägen sich die falschen Schreibweisen und Endungen nicht jahrelang ein. Im Interview entsteht der Eindruck, die Motivation ließe schlagartig ab der 3. Klasse nach, weil sich bis dahin niemand um die Rechtschreibregeln kümmert, die Einhaltung dann aber gefordert wird. Das ist so nicht richtig. Die Rechtschreibregeln werden ab dem 2. Halbjahr der 1. Klasse geübt, sind im ganzen 2. Schuljahr ein Schwerpunktthema des Deutschunterrichts und werden im 3. und 4. Schuljahr vertieft.
Interessant, dass der Spiegel den Unterricht an einer Wuppertaler Grundschule als Ausnahme von der Regel darstellt:
Dass ein solcher Unterricht sogar mit „Tinto“ möglich ist, zeigt das Beispiel von Ann-Cathrin Michel. Zwar unterrichtet sie ihre erste Klasse in der Grundschule Echoer Straße in Wuppertal-Ronsdorf nach dem Lehrwerk, das auf der Reichen-Methode basiert – dies ist an ihrer Schule so üblich. Doch dabei achtet sie schon früh intensiv auf richtiges Schreiben. (Der Spiegel, 25/2013, Die neue Schlechtschreibung)
Wir wohnen in Wuppertal-Vohwinkel und in der Klasse meines Grundschulkindes und in allen mir bekannten nordrhein-westfälischen Grundschulen, die mit TINTO arbeiten, wird es ebenfalls so gehandhabt. Eine Ausnahme also – oder doch die Regel?
Und wie wird eigentlich der pädagogische Nachwuchs ausgebildet, was ist der aktuelle Stand?
Angehende Grundschullehrer/innen hier an der Bergischen Universität Wuppertal werden nicht darauf gedrillt, im Unterricht die Rechtschreibregeln außer Kraft zu setzen. Meine Tochter studiert dort (Grundschullehramt); die Nachteile der Methode „Lesen durch Schreiben“ werden im Fach Rechtschreibdidaktik angesprochen und kontrovers diskutiert.
Wie es weiterging: Nachtrag 28.08.2014
Zwei Jahre sind seit der Einschulung meines jüngsten Sohnes nun vergangen, seit August ist er Drittklässler. Der SPIEGEL-Schlechtschreibungs-Artikel ist Schnee des letzten Sommers, aber wie mir die Klickraten dieses Artikels immer wieder um den Schuljahresbeginn herum zeigen, ist das Interesse nach wie vor groß. Was kann ein „TINTO-Kind“ nach zwei Schuljahren? Wie liest es, wie schreibt es? Für den direkten Vergleich mit dem Bild oben nun ein kleiner Aufsatz über ein gelesenes Buch, in den Sommerferien für die Sandstreusel verfasst. Vom Kind selbst formuliert und geschrieben. Die offensichtlichsten Fehler im ersten Entwurf sind wir später zusammen durchgegangen. Das gemeinsame Verbessern ist bei der TINTO-Methode ab einem bestimmten Schreibwortschatz wichtig. Häufig sind es Flüchtigkeitsfehler, die selbst erkannt werden. Einige Fehler wie z. B. die falsche Großschreibung bei Anderen habe ich bewusst nicht verbessert, denn sehr spezielle Regeln muss ein Kind Ende der 2. Klasse nicht kennen. Das doppelte n bei spannend oder das ie bei Schildkröte und einige weitere Fehler haben wir aber besprochen und später korrigiert. Dieser kleine Text bringt den Stand der Fortschritte nach zwei Jahren mit TINTO sehr gut auf den Punkt. Die Schreibschrift wurde auch bereits eingeführt, es ist hier die weniger geschwungene „Vereinfachte Ausgangsschrift“. Viel hat sich getan seit LIBMAMAONTPAPABTMÜSLI – nun wird sich in der 3. Klasse zeigen, wie sich das Erlernte in Schulnoten darstellt. Ich werde auch über die Erfahrungen mit der Rechtschreibwerkstatt und den Abschreibtexten von Sommer-Stumpenhorst berichten, die nun in der 3. Klasse in leicht abgewandelter Form zum Einsatz kommen.
Update 20.08.2015
Wieder ein Jahr weiter. Der Drittklässler hat kurz vor dem Übergang in die 4. Jahrgangstufe umzugsbedingt die Grundschule gewechselt. Nun wird es erst richtig spannend, denn die neue Schule arbeitet nicht mit TINTO. Das Zeugnis der Klasse 3 (2. Halbjahr) wurde noch von der bisherigen Klassenlehrerin für die neue Schule ausgestellt. Rechtschreibung ist mit einem „befriedigend“ insgesamt das schwächste Fach. Im Bereich Deutsch setzt sich die Gesamtnote (gut) zusammen aus Sprachgebrauch (gut), Lesen (sehr gut) und der mit befriedigend bewerteten Rechtschreibung. Im Zeugnis heißt es dazu ausführlich:
„…kennt grundlegende Regeln der Rechtschreibung und nutzt diese bei entsprechender Konzentration. Das Ableiten von Wörtern aus der Grundform oder aus verwandten Formen gelingt in isolierten Übungen. Satzzeichen wie Punkt, Fragezeichen oder Ausrufezeichen setzt er passend. In freien Texten entstehen Fehler durch mangelnde Aufmerksamkeit und Kontrolle.“
Nicht also an Kenntnissen mangelt es, sondern an Aufmerksamkeit, Konzentration und Kontrolle. Zu Beginn des 4. Schuljahres werden nun Kommaregeln geübt. Ich berichte weiter, ob und in welchen Bereichen der Rechtschreibung im 4. Schuljahr Leistungsunterschiede erkennbar werden – verglichen mit Kindern, die nach einem anderen System gelernt haben.
Update 29.08.2016
Es ist wieder Schulstart, viele gelangen auf der Suche nach TINTO hierher. Mein Jüngster ist mit Ferienende 2016 zum Gymnasium gewechselt. Wie erwartet, hatte er hinsichtlich der Rechtschreibung an der anderen Grundschule in der 4. Klasse zunächst etwas Rückstand, konnte diesen aber dank einer engagierten Lehrerin rasch aufholen. Seine Fortschritte in der Rechtschreibung verdankt er aber auch dem Glücksfall, dass er sehr gerne, ausdauernd und viel liest. Er erhielt mit einem Notenschnitt von 1,9 eine klare Empfehlung fürs Gymnasium. Schwächstes Fach im großen Bereich Deutsch (Gesamtnote 2,0) war mit 3,0 weiterhin die Rechtschreibung, Ich denke, alle weiteren schulischen Entwicklungen sind nun idividuell und nicht mehr auf TINTO & Co zurückzuführen. Ich beschließe diese kleine persönliche Langzeitstudie also mit dem guten Rat, locker zu bleiben und sich nicht verunsichern zu lassen.Ob TINTO oder nicht TINTO, das entscheidet wirklich nicht über Schreibkompetenz und schulische Zukunft von Schülerinnen und Schülern.
Taltexte testen total …
… tiefenentspannt, da kostenlos. In der närrischen Zeit mache ich Ihnen ein narrensicheres Angebot: Drei Texte à 250 Wörter schreibe ich ohne Berechnung – jeweils einen für insgesamt drei Auftraggeber. Bewerben Sie sich doch einfach bis Mittwoch, 15. Februar – kost‘ ja nix! Aus den Anfragen suche ich mir die spannendsten Themen aus und benachrichtige die „Gewinner“ der drei Texte am Donnerstag, 16. Februar per E-Mail.
Ich freue mich auf interessante, inspirierende und anspruchsvolle Textaufgaben für Reimerlei Taltexte!