Shades of Grey „Geheimes Verlangen“ und was ich dazu zu sagen hätte …

Leute, ich bin Buchhändlerin und werde dieses Buch verkaufen! Schließlich brauchen wir Umsätze, also werfen wir derzeit alle Dünkel von Bord und handeln einfach. Mit Schnickschnack, der uns, dem darbenden Buchandel, zu mehr Umsatz verhelfen soll, mit lüsternen Blutsaugern, dauerrolligen Katzenmenschen und saukomischen Weiberromanen. Und jetzt verkaufen wir eben „Geheimes Verlangen“. Aber eines kann ich NICHT, nämlich dies Buch empfehlen. Das soll aber bitte niemanden daran hindern, es trotzdem zu kaufen. Sicher wird es bald ohnehin in trauter Eintracht mit den Folgebänden „Gefährliche Liebe“ und „Befreite Lust“ ein Stelldichein auf der Spiegel-Bestsellerliste feiern.

50 Shades of Grey lautet der englische Originaltitel, die 50 hat der deutsche Verlag („Goldmann – Lesen erleben“ – oho!) gegen den Untertitel „Geheimes Verlangen“ eingetauscht, die Krawatte auf dem Titelbild gegen eine Blüte, die offenbar weibliche Sinnlichkeit symbolisieren soll. Die Protagonistin plappert von Seite 7 bis Seite 602 ebenso unentwegt wie dämlich vor sich hin, schließlich hat sie uns ihre außerordentlich aufwühlende Geschichte zu erzählen. Der Protagonist kann endlich mal die Zähne zeigen, ohne ein Vampir zu sein, er ist einfach nur ein ganz normalsterblicher Mann: extrem gut aussehend, schwer reich, großer Schwanz, immer bereit, arrogantes Arschloch – und auch sonst ein Typ, von dem sich eine naive Jungfrau gern kurz mal die Unschuld rauben und nach Unterschreiben des mehrseitigen Sklavenvertrags etwas später auch fast freiwillig ausdauernd versohlen lässt.

Keine Angst, dies wird kein Spoiler, es kann gar keiner sein, denn wesentliche Spannungsmomente habe ich nicht entdecken können. Eindimensionale Charaktere, denen die Autorin krampfhaft mehr Tiefe verleihen möchte, was aber nicht gelingt. Der fiese arrogante Sack ist eigentlich ein netter Kerl und hatte wahrscheinlich eine schwere Kindheit, Genaueres werden Band 2 und 3 zum Vorschein zerren. Die unbedarfte Ex-Jungfrau ist ja eigentlich total intelligent, schließlich liest sie als Literaturstudentin auch Thomas Hardy. Leider hindert sie das nicht daran, gefühlte 100 Mal Dialoge mit ihrer jauchzenden „inneren Göttin“ zu führen, beim Orgasmus ständig in 1000 Stücke zu zerbersten und obendrein sehr zum Missfallen von Master-of-her-Universe Grey beharrlich augenverdrehend an ihrer Unterlippe zu kauen, woraufhin er – es scheint ein Schlüsselreiz und Teil seines Kindheitstraumas zu sein – sofort Sex haben möchte. Oder peitschen oder so was.

Auf der typischen Sterne-Skala von 1 bis 5 würde ich der faden Story um die graue Maus Anastasia und ihren schwarzen Schwänerich Christian nur deshalb üppig bemessene zwei Sterne spendieren, weil das Buch unfreiwillig komisch und darum doch irgendwie amüsant ist. Ohne es zu wissen – es ist wirklich nur eine Vermutung – neige ich dazu zu glauben, dass auch die SM-Szene das Werk indiskutabel findet. In der Zusammenfassung ist es nicht ergiebiger als eine Endlosschleife „Master and Servant“, von der britischen Band Depeche Mode bereits 1984 thematisiert.

„There’s a new game
We like to play you see
A game with added reality
You treat me like a dog
Get me down on my knees
We call it master and servant.”

NACHTRAG 11.07.12:  Eine Rezension, die es toll auf den Punkt bringt und dabei noch so herrlich die naive Tonart der Story parodiert, fand ich eben beim großen Online- Konkurrenten. Mit freundlicher Genehmigung des Rezensenten Kirk Spader:

Meine Oberlippe zersprang in 1.000 Stücke … 11. Juli 2012
Neulich fuhr ich im geliehenen R8 Spider eines Kumpels durch die Gegend, als mir einfiel, dass ich für den geplanten Campingurlaub noch Material brauchte um die Zeltstangen zu transportieren. Also den R8 zackig vorm Haupteingang eines Baumarktes in der Nähe geparkt und nur im weißen Oberhemd und gut auf der Hüfte sitzender Jeans in den Baumarkt. Da war natürlich kein Verkäufer, also ich in den Pausenraum ohne anzuklopfen. Da waren die alle. Verkäuferin ausgesucht und ihr gesagt, dass ich Kabelbinder, Klebeband und Seil bräuchte. Sie wurde knallrot und wir gingen in die Elektroabteilung wegen den Kabelbindern. Sie stolperte dreimal und gesagt hat sie auch nicht viel, weil sie die ganze Zeit an ihrer Oberlippe knabberte. Das hat total genervt. Als ich die Kabelbinder (zum Zusammenbinden der Zeltstangen) ausgesucht hatte, kam sie immer näher und nuschelte etwas (konnte ich nicht genau verstehen, weil sie immer noch an der Oberlippe nagte), klang so, als wenn wir einen Vertrag machen sollten. Ich sagte, dass ich einen Vertrag über den Kauf von Kabelbindern, Klebeband und Seil etwas übertrieben fände, es würde doch reichen, wenn ich es kaufen und eine Quittung bekommen würde. In der Klebebandabteilung sagte sie, dass sie gleich explodieren würde. Dabei sah sich mich ganz komisch an. Ich wollte nicht, dass sie explodiert, deswegen habe ich sie vorsichtshalber mit dem Klebeband umwickelt und sie an einer Säule fixiert. Die anderen Kunden haben komisch geguckt, aber ich habe einfach weitergemacht. Dann bin ich gegangen. Im Zelturlaub habe ich dann „Shades of Grey“ gelesen. Ich finde, das ist ein Klassebuch, weil absolut realitätsnah.

Applaus, Mr. Spader!

Frau Sanne
CEO Reimerlei

Als James Cook seine letzte Reise tat

Enqist_Reise_Es ist schon lange her, dass ich einen historischen Roman gelesen habe. Zu Jugendzeiten konnte mir kein Historienschmöker dick genug sein, von “Sinuhe, der Ägypter” über “Shogun” las ich mich quer durch verschiedene Kulturen und Epochen. Gerne durften es auch ganz triviale Südstaatensagas wie “Kalifornische Sinfonie” sein. Aber irgendwann verlor ich das Interesse und beschäftigte mich mehr mit dem Horror-Genre. Stephen King kam damals ganz groß raus, im Schlepptau Autoren wie Koontz, Strieber und Konsorten. Auch das ist längst vorbei und die Horror-Sammlung anlässlich des Umzugs versteigert – die Bücher aus späteren Phasen durften aber allesamt mit in die neue Wohnung, denn das waren dann schon Autoren und Themen, die mich immer noch begeistern: Stefan Zweig, Klaus Mann (und natürlich die anderen aus dem Mann-Clan, aber mit Klaus’ Leben und Sterben habe ich mich besonders intensiv beschäftigt), Patricia Highsmith, Ray Bradbury und ganz viel Lyrik.

Auf der Suche nach einem neuen Leseexemplar wanderte die “Letzte Reise” eher zufällig in meine Tasche, es lag da, ich war in Eile und es passte vom Format so gerade noch mit rein. Naja, mal ein wenig querlesen, so dachte ich…

Mehrere Abende habe ich nun mit Frau Cook verbracht, habe Anna Enquists klare Sprache genossen und musste manchmal mit Gewalt die melancholische Stimmung beim Zuklappen des Buches abschütteln. Ich versank in Elizabeths Welt, denn von ihr und ihrem Kosmos, der so viel kleiner ist als der ihres berühmten Ehemannes James, handelt die Geschichte.

Diese Frau ist mit über 90 Lebensjahren verstorben, alle, alle hat sie überlebt – ihre Kinder, ihren Mann, die Menschen, die ihr nahestanden.  Manchmal habe ich vergessen, dass ich nur einen Roman lese, so dicht am Geschehen, in der Gedankenwelt fühlte ich mich.

Dass mich die Geschichte wirklich begeistert und fasziniert hat, zeigte sich daran, dass ich anfing, die Fakten nachzulesen, alles zu “ergoogeln”, was über die Protagonisten (oberflächlich) zu erfahren war, über James Cook, Hugh Palliser und natürlich die Frau in Warteposition: Elizabeth. Ich habe mich zuvor kein Stück für Seefahrt interessiert, kannte natürlich schlagwortartig die Begriffe Cook, Endavour usw. – mehr aber auch gewiss nicht. Das hat sich nun geändert, und ich finde es immer sehr schön, wenn ich mich motiviert fühle, den Horizont ein wenig zu erweitern.