Integration und so: 1 Jahr nach dem großen Willkommen

© 2015 Willkommen in Cronenberg | Laufgruppe

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Würde man mich fragen, wie es denn so klappt mit der Integration, könnte ich im Brustton der Überzeugung behaupten: Ich kann nicht klagen, läuft. Rund 20 arabisch-syrische Vokabeln habe ich schon gelernt, und ein bis zwei Wörter, darunter danke (shukran), kann ich auch in arabischer Schrift erkennen – nicht wirklich lesen, aber ich habe mir die Abfolge der Zeichen eingeprägt. In meinen Vorratsschränken ist stets arabisches Fladenbrot (Chubz) in ausreichender Menge zu finden. Ich kann nach Kardamom duftenden Kaffee nach syrischer Art aus Kaffeepulver mithilfe einer Herdkanne kochen. Ich bin in der Lage, Hummus frisch zuzubereiten und gebe meinem Kind in die Schule Chubz-Sandwiches mit Olivenöl und Zatar mit.

Aber darum geht’s natürlich nicht, es geht um diejenigen, von denen Deutschland erwartet, dass sie sich doch bitte integrieren. Wenn ich das höre und lese, muss ich echt an mich halten – Integration zu fordern, aber zugleich Integrationswilligen oft gar nicht die Möglichkeit dazu zu geben, das ist schon verwegen. Ein Jahr ist vergangen, und der integrationswilligste Syrer, den ich kenne, hat immer noch keinen Asylbescheid, und somit offiziell immer noch keine Berechtigung, an einem Sprachkurs teilzunehmen, bzw. dann ist es ja eine Verpflichtung.  Und erst dann werden die Kosten dafür übernommen. Dass er trotzdem einen Kurs besucht, hat das Bündnis ermöglicht. Er hat immer noch keine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis, obwohl er eine Vollzeitstelle (!) haben könnte und dann nicht mehr angewiesen wäre auf die Gnade der Beihilfe. Stattdessen legt ihm die deutsche Bürokratie lieber haufenweise Steine in den Weg, eines Sisyphos würdig. Und er ist ja nur einer von so vielen, denen es nicht besser ergeht, aber eben einer, dessen Alltag in Deutschland ich seit einem Jahr miterlebe.

Auf den Tag genau vor einem Jahr haben sich viele Wuppertaler vor dem Schulzentrum auf den Südhöhen versammelt, um hunderte Geflüchtete freundlich zu empfangen. Die angekündigten Busse kamen aber nicht, und darum gingen wir Küllenhahner, Cronenberger, Südstädter und andere, die gewartet hatten, wieder nach Hause – um am nächsten Tag wiederzukommen. Denn am 9. September 2015 rollten sie dann an, busladungsweise wurden Leute hierher transportiert, in unsere Nachbarschaft. Später meinten einige Zeitgenossen, das sei ja wohl peinlich gewesen. Diese ganze bescheuerte Willkommensheißerei sei absurd und nichts anderes.

Heute weiß ich, dass die Menschen in den Bussen sich freuten, dass es ihnen gut tat, in lächelnde Gesichter zu schauen. Die meisten hatten schon ganz anderes erlebt auf ihrer Flucht, hatten mehrere Bundesländer kennengelernt, waren innerhalb Deutschlands schon von einer zur nächsten Stadt gekarrt worden, von Süden nach Norden, Osten und Westen, ohne zu wissen, warum, wohin – und wann sie endlich irgendwo angekommen wären. Jetzt waren sie zunächst einmal hier in Wuppertal Cronenberg angekommen, wohnten vorübergehend in Sporthallen, dann in einer eilig hergerichteten Notunterkunft an der Hastener Straße. Cronenberger schlossen sich in kürzester Zeit zu einem Bündnis zusammen, es fand Sprachunterricht statt, eine Kleiderhalle wurde eingerichtet, ein Lauftreff organisiert und vieles mehr.

Böse oder zumindest kritische Zungen meinten damals, ja, das sei sowohl bei uns in Cronenberg als auch bundesweit alles nur eine kurzlebige Hilfsbereitschaftswelle, die würde bald schon abebben, die Ernüchterung auf dem Fuße folgen. Aber dem war nicht so, im Gegenteil. Ich weiß von so vielen Kontakten und Freundschaften, die damals entstanden sind und andauern. Und wenn ich einige lamentieren höre, von Überfremdung, Islamisierung, Flüchtlingswellen und das sei ja alles unschaffbar, denke ich, merkwürdig, wie unterschiedlich doch die Wahrnehmung und das daraus resultierende Tun sein kann. Die einen fühlen sich bedroht, gehen auf Abstand, reden von Burkas, ohne überhaupt jemals einer Frau mit Burka live begegnet zu sein; die anderen schließen Freundschaften, einfach so. Weil man sich nett findet, zum Beispiel. Ich wünsche mir sehr, dass es viel mehr Verbindungen gäbe zwischen Deutschen und Geflüchteten, schon allein, um Merkels „Wir schaffen das“ wahr werden zu lassen. Denn zu sagen, schaffen wir nicht, heißt, wir schaffen das nicht, weil wir nur zuschauen und abwarten. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Jetzt heißt es neuerdings „Deutschland bleibt Deutschland.“ Mit allem, was uns daran lieb und teuer ist und so, sagt Frau Merkel noch dazu. Ja, das will ich doch schwer hoffen. Nicht auszudenken, ein Deutschland ohne Chubz, ohne Zatar, ohne Hummus und ohne „marhabaan“ in den Straßen, das übrigens nicht nur „Hallo“ heißt, sondern auch „Herzlich willkommen“.

Helfen bei der Wohnungssuche

Willkommen_in_CronenbergDrei Monate und eine Woche sind vergangen, seit ich den Beitrag Willkommen heißen über die Ankunft der ersten Flüchtlinge am Schulzentrum Süd in Wuppertal Küllenhahn veröffentlichte. Danach habe ich nichts mehr zu diesem Thema geschrieben, geschehen ist trotzdem vieles. Zusammen mit vielen anderen bin ich bei Willkommen in Cronenberg als ehrenamtliche Lehrkraft mit Sprachkursen aktiv geworden. Es ist nur ein kleiner Beitrag für jeden einzelnen von uns gewesen, aber gemeinsam haben wir hunderte Unterrichtsstunden organisiert. Als sich unsere Gruppe gerade strukturiert hatte, folgte urplötzlich in einer Art Nacht- und Nebelaktion die Registrierung, Danach erhielten die Landesflüchtlinge den Status Kommunale Flüchtlinge und wurden verschiedenen Kommunen zugewiesen. Einige blieben in Wuppertal, für andere ging es z. B. nach Bonn und Bielefeld. Von heute auf morgen waren unsere Sprachschülerinnen und -schüler weg. Wen man wohin geschickt hatte, erfuhren wir nicht. Wir bedauerten es sehr, dass wir uns nicht hatten verabschieden können.

Von den vielen Betten in der Notunterkunft, die zwischenzeitlich in ein leerstehendes Fabrikgebäude an der Hastener Str. umgezogen war, wurden vorerst nur wenige mit Neuankömmlingen belegt. Es stellte sich heraus, dass nun ein Überangebot an Sprachkursen bestand, da die kommunalen Flüchtlinge zertifizierte Sprachkursangebote wahrnehmen. Einige unserer Schüler durften in Wuppertal bleiben. Die Stadt Wuppertal hat mehrere Häuser in einem Viertel gekauft, das eh schon sozialer Brennpunkt ist, und stopft nun die Wohnungen mit kommunalen Flüchtlingen voll. Statt Deutsch zu unterrichten, helfen wir nun einigen Geflüchteten bei der Wohnungssuche, denn die Verhältnisse im Wohnghetto sind menschenunwürdig.

Die Erfahrungen, die wir bei der Suche nach einer Wohnung für noch nicht offiziell anerkannte Flüchtlinge bislang gemacht haben, können vielleicht für andere hilfreich sein. ACHTUNG: Nach der Anerkennung ändern sich Zuständigkeiten und Ablauf, denn dann muss  das Jobcenter die Wohnung bewilligen.

Uns war z. B. zunächst nicht klar, ob es Flüchtlingen mit einer Aufenthaltsgenehmigung von 6 Monaten überhaupt erlaubt ist, eine eigene Wohnung zu beziehen.
Fakt ist: Ja, sie dürfen, wenn sie aus Syrien geflüchtet sind. Es wird ihnen sogar nahegelegt, sich eine Wohnung zu suchen.
Sie bekommen einen Zettel in die Hand, wie groß die Wohnung pro Person sein darf (50 m2) und welche Kaltmiete maximal genehmigt wird (z. B. 240 Euro für eine Person). Der „ungeklärte Aufenthaltsstatus“ ist Vermietern gegenüber natürlich erklärungsbedürftig. Ich habe beim zuständigen Wuppertaler Ressort für Zuwanderung und Integration angerufen und erfahren, dass es in der aktuellen Situation Monate, vielleicht sogar mehr als ein Jahr dauern kann, bis der Asylantrag genehmigt wird. Bei Syrern sei aber klar, dass sie immer wieder einen neuen Verlängerungsstempel erhalten, solange Krieg im Land herrscht. So können wir das auch den Wohnungseigentümern, Vermietern und Hausverwaltern kommunizieren.

Eine weitere offene Frage: Erhalten Flüchtline einen Wohnberechtigungsschein, um eine öffentlich geförderte Wohnung beziehen zu können? Hier lautet die Antwort: Nein, sie haben keinen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, solange sie nicht anerkannt sind. Erst nach dem positiven Bescheid durch das BAMF kann ein WBS ausgestellt werden. Das ist insofern fatal, als niedrige Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt viel seltener anzutreffen sind als beim sozialen Wohnungsbau. Aber es gibt eine Chance: Bei einer ungeklärten Aufenthaltssituation als Asylsuchender kann das zuständige Ressort der Stadt Wuppertal den Antrag auf Erteilung einer Freistellung einer geförderten Wohnung genehmigen. Dieser Antrag ist vom Eigentümer oder der Hausverwaltung auszufüllen und zu unterschreiben, dann darf – nach dem Okay durch den Sachbearbeiter – die Wohnung auch ohne Wohnberechtigungsschein an einen Flüchtling vermietet werden.

Deutet sich der Erfolg einer Wohnungssuche an, zeigt sich der Eigentümer also offen dafür, die Wohnung an einen Flüchtling zu vermieten, muss er ein Formular für das Wohnungsangebot ausfüllen. Das ist die Bescheinigung des Vermieters zur Vorlage bei der Bewilligungsbehörde Ressort Zuwanderung und Integration in Wuppertal, An der Bergbahn 33 (Update 2018: jetzt Haus der Integration an der Friedrich-Engels-Allee). Wenn die Wohnung preislich und quadratmetermäßig passt, wird die Kostenübernahme in der Regel spätestens nach 3 Tagen zugesagt. Diese Zusage braucht dann wiederum der Vermieter, und das möglichst rasch, denn der Flüchtling ist ja nicht der einzige Bewerber. Sind andere schneller, war’s das dann vielleicht, Chance vertan. Dienstags ist die zuständige Etage 4 für wirtschaftliche Hilfe komplett geschlossen, weswegen wir am denkbar ungünstigsten Tag dort vorsprechen wollten. Üblicherweise wird die Genehmigung per Post verschickt, was zu weiteren Verzögerungen führen kann. Deswegen ist es besser, eine persönliche Abholung zu vereinbaren und ruhig auch schon nach zwei Tagen auf der Matte zu stehen. Mit Glück ist das Wohnungsangebot dann schon bearbeitet und genehmigt, mit Pech muss man einen Tag später den Weg noch einmal auf sich nehmen.

Ist man endlich im Besitz der Bewilligung, braucht der Vermieter neben einer ausgefüllten Selbstauskunft noch eine Kopie der Bescheinigung über die Meldung als Asysuchender. Und dann heißt es hoffen, dass die Wohnung in der Zwischenzeit nicht anderweitig vergeben wurde. Kurz vor dieser Phase befinden wir uns gerade, genauer gesagt, ist morgen der Tag 2, an dem vielleicht die Bewilligungsbehörde schon die Kostenübernahme zugesagt hat. Spätestens Freitag aber wird es ernst, dann werden wir bald wissen, ob wir es geschafft haben! Wie wird danach es weitergehen, so ohne Möbel, ohne irgendetwas? Auch dafür und für Strom- und Gaszahlungen gibt es wirtschaftliche Hilfe … man muss sich nur gemeinsam durchwühlen.

Willkommen heißen.

Wuppertal hilft Flüchtlingen

Wuppertal hilft Flüchtlingen

Gibt es einen Willkommens-Knigge? Ist es unangemessen, Flüchtlinge, die elend lange unterwegs waren, die das Glück hatten, Grenzen zu überwinden und in Deutschland anzukommen, lautstark zu begrüßen? Oder sollen wir sie schweigend, ach, am besten gar nicht willkommen heißen? Auf gar keinen Fall aber singen, klatschen, Freude bekunden und emotional sein. Und überhaupt sei man ja nur Gaffer, meinen einige Leute bei Facebook absondern zu müssen.

Ehrlich gesagt war ich auch erst zwiegespalten. Und hinterfragte sehr genau meine Motivation, zum Schulzentrum Süd zu gehen und auf die neuen Nachbarn auf Zeit zu warten. Aber das sind sie eben, Nachbarn für einige Wochen, eher Monate. Und darum wollte ich einige dieser neuen Nachbarn auch nachbarschaftlich begrüßen. Sie werden für diese Zeit mehr schlecht als recht in Turnhallen auf den Südhöhen untergebracht sein und hier leben. Sie werden von Wuppertal als erstes Küllenhahn kennenlernen.

Am Montag wartete ich am Schulzentrum zusammen mit weit über 200 anderen auf den für 18 Uhr angekündigten ersten Bus. Die Stimmung war freundlich und friedlich. Und wie bunt unsere Gesellschaft sowieso schon ist, zeigte sich überwältigend in den vielen Nationalitäten. Ein babylonisches Stimmengewirr, eindrucksvoll. Als wir um 19:30 Uhr erfuhren, dass die Flüchtlinge doch erst Dienstag ankommen, löste sich die Menge friedlich wieder auf.

Einige fanden sich am Dienstagnachmittag wieder ein. Es waren nicht mehr ganz so viele, was sicher mit der Uhrzeit zusammenhing. Diesmal wollte mein jüngster Sohn mitkommen. Ja, und dann passierte es, was die Facebook-Kniggisten im Nachhinein auf den Plan rief: Der erste Bus kam an und es wurde gesungen, geklatscht. Die Menschen im Bus sahen und hörten uns, einige wirkten müde, apathisch, nahmen das alles wahrscheinlich kaum wahr. Andere jubelten, lachten, freuten sich offensichtlich. Es war ein bisschen makaber, das schon. Hatte sicher auch so was unangemessen eventmäßiges. Aber dann auch doch wieder nicht, denn es war ehrlich. Zusammen mit den anderen habe ich mich einfach nur für jeden gefreut, der es geschafft hatte – vorerst jedenfalls, wie es weitergeht, ob sie bleiben dürfen, und falls ja, wo, wissen sie ja alle nicht.

Es rollten bis in die Nacht Busse an, so lange wartete natürlich kaum jemand. Viele waren mit ihren Kindern dort und machten sich nach dem ersten Bus auf den Heimweg. Dafür rückten andere nach, es war ein Kommen und Gehen. Auch wir gingen nach Hause, ich erfuhr aber über Facebook, dass auch auf die in der Dunkelheit Ankommenden noch Wuppertaler warteten. Und das finde ich schön. Die sich jetzt sorgen, dass sowas ja unmöglich sei, die Menschen bei ihrer Ankunft zu belästigen, ja, die waren eben nicht dabei. Manches lässt sich schlecht aus der Distanz beurteilen.

Ich glaube auch nicht, dass die „Begrüßer“ ihre Pflicht und Schuldigkeit als Gaffer nun getan haben, nur ein Selfie machen wollten und weiter nichts mehr in der Sache unternehmen. Mit „in der Sache“ meine ich alles das, was nun auf lange Sicht getan werden muss. Hilfe. Willkommen heißen ist leicht, dabei bleiben und helfen schon eine andere Nummer. Aber ich habe den Eindruck, dass der gute Wille da ist. Wahrscheinlich halten nicht alle lange durch, ebbt die Hilfsbereitschaft ab. Aber wenn nur ein Bruchteil erhalten bleibt, vielleicht sogar wächst, ist es doch gut. Und je mehr Menschen sich aufraffen, Flüchtlinge zu begrüßen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige von ihnen sich tatsächlich engagieren. Und darum finde ich dieses Lamento von selbsternannten Kniggisten total daneben.

Und nun? Nun haben wir die Flüchtlinge begrüßt oder auch nicht begrüßt: Wie auch immer, jetzt sollten Taten folgen. Wenn jeder nur ein bisschen was gibt und ein bisschen was tut, muss keiner seine Komfortzone verlassen. Infos darüber, was jeder in Wuppertal  beitragen kann, gibt es am Donnerstag, 10.09.2015 ab 18 Uhr im Schulzentrum Süd (Cronenberg / Küllenhahn).

Nachtrag: Bei der Informationsveranstaltung lagen Listen aus, in die sich jede/r für Geld-, Zeit- oder Sachspenden eintragen konnte. Wer ebenfalls helfen möchte, kann dies auch noch nachträglich anbieten und Kontakt über die Website Willkommen in Cronenberg aufnehmen. Dort werden nach und nach wichtige Infos ergänzt.

Weitere Seiten zum Thema:

Bürgerverein Küllenhahn

Cronenberger Woche: Willkommen in Cronenberg: Dörper Bündnis für Flüchtlinge

Stadt Wuppertal: Wuppertal hilft Flüchtlingen