Willkommen heißen.

Wuppertal hilft Flüchtlingen

Wuppertal hilft Flüchtlingen

Gibt es einen Willkommens-Knigge? Ist es unangemessen, Flüchtlinge, die elend lange unterwegs waren, die das Glück hatten, Grenzen zu überwinden und in Deutschland anzukommen, lautstark zu begrüßen? Oder sollen wir sie schweigend, ach, am besten gar nicht willkommen heißen? Auf gar keinen Fall aber singen, klatschen, Freude bekunden und emotional sein. Und überhaupt sei man ja nur Gaffer, meinen einige Leute bei Facebook absondern zu müssen.

Ehrlich gesagt war ich auch erst zwiegespalten. Und hinterfragte sehr genau meine Motivation, zum Schulzentrum Süd zu gehen und auf die neuen Nachbarn auf Zeit zu warten. Aber das sind sie eben, Nachbarn für einige Wochen, eher Monate. Und darum wollte ich einige dieser neuen Nachbarn auch nachbarschaftlich begrüßen. Sie werden für diese Zeit mehr schlecht als recht in Turnhallen auf den Südhöhen untergebracht sein und hier leben. Sie werden von Wuppertal als erstes Küllenhahn kennenlernen.

Am Montag wartete ich am Schulzentrum zusammen mit weit über 200 anderen auf den für 18 Uhr angekündigten ersten Bus. Die Stimmung war freundlich und friedlich. Und wie bunt unsere Gesellschaft sowieso schon ist, zeigte sich überwältigend in den vielen Nationalitäten. Ein babylonisches Stimmengewirr, eindrucksvoll. Als wir um 19:30 Uhr erfuhren, dass die Flüchtlinge doch erst Dienstag ankommen, löste sich die Menge friedlich wieder auf.

Einige fanden sich am Dienstagnachmittag wieder ein. Es waren nicht mehr ganz so viele, was sicher mit der Uhrzeit zusammenhing. Diesmal wollte mein jüngster Sohn mitkommen. Ja, und dann passierte es, was die Facebook-Kniggisten im Nachhinein auf den Plan rief: Der erste Bus kam an und es wurde gesungen, geklatscht. Die Menschen im Bus sahen und hörten uns, einige wirkten müde, apathisch, nahmen das alles wahrscheinlich kaum wahr. Andere jubelten, lachten, freuten sich offensichtlich. Es war ein bisschen makaber, das schon. Hatte sicher auch so was unangemessen eventmäßiges. Aber dann auch doch wieder nicht, denn es war ehrlich. Zusammen mit den anderen habe ich mich einfach nur für jeden gefreut, der es geschafft hatte – vorerst jedenfalls, wie es weitergeht, ob sie bleiben dürfen, und falls ja, wo, wissen sie ja alle nicht.

Es rollten bis in die Nacht Busse an, so lange wartete natürlich kaum jemand. Viele waren mit ihren Kindern dort und machten sich nach dem ersten Bus auf den Heimweg. Dafür rückten andere nach, es war ein Kommen und Gehen. Auch wir gingen nach Hause, ich erfuhr aber über Facebook, dass auch auf die in der Dunkelheit Ankommenden noch Wuppertaler warteten. Und das finde ich schön. Die sich jetzt sorgen, dass sowas ja unmöglich sei, die Menschen bei ihrer Ankunft zu belästigen, ja, die waren eben nicht dabei. Manches lässt sich schlecht aus der Distanz beurteilen.

Ich glaube auch nicht, dass die „Begrüßer“ ihre Pflicht und Schuldigkeit als Gaffer nun getan haben, nur ein Selfie machen wollten und weiter nichts mehr in der Sache unternehmen. Mit „in der Sache“ meine ich alles das, was nun auf lange Sicht getan werden muss. Hilfe. Willkommen heißen ist leicht, dabei bleiben und helfen schon eine andere Nummer. Aber ich habe den Eindruck, dass der gute Wille da ist. Wahrscheinlich halten nicht alle lange durch, ebbt die Hilfsbereitschaft ab. Aber wenn nur ein Bruchteil erhalten bleibt, vielleicht sogar wächst, ist es doch gut. Und je mehr Menschen sich aufraffen, Flüchtlinge zu begrüßen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige von ihnen sich tatsächlich engagieren. Und darum finde ich dieses Lamento von selbsternannten Kniggisten total daneben.

Und nun? Nun haben wir die Flüchtlinge begrüßt oder auch nicht begrüßt: Wie auch immer, jetzt sollten Taten folgen. Wenn jeder nur ein bisschen was gibt und ein bisschen was tut, muss keiner seine Komfortzone verlassen. Infos darüber, was jeder in Wuppertal  beitragen kann, gibt es am Donnerstag, 10.09.2015 ab 18 Uhr im Schulzentrum Süd (Cronenberg / Küllenhahn).

Nachtrag: Bei der Informationsveranstaltung lagen Listen aus, in die sich jede/r für Geld-, Zeit- oder Sachspenden eintragen konnte. Wer ebenfalls helfen möchte, kann dies auch noch nachträglich anbieten und Kontakt über die Website Willkommen in Cronenberg aufnehmen. Dort werden nach und nach wichtige Infos ergänzt.

Weitere Seiten zum Thema:

Bürgerverein Küllenhahn

Cronenberger Woche: Willkommen in Cronenberg: Dörper Bündnis für Flüchtlinge

Stadt Wuppertal: Wuppertal hilft Flüchtlingen

Lindbergh | Torben Kuhlmann

Lindbergh | Torben Kuhlmann Nord-Süd-Verlag

Lindbergh | Torben Kuhlmann
Nord-Süd-Verlag

Lindbergh – ein Bilderbuch in gedeckten Farben, das von düsteren Zeiten erzählt und trotzdem alles andere als traurig ist. Ein Erstlingswerk, das so atemberaubend schön ist, episch und zugleich leicht aus dem Nichts dahergeflogen kommt, hat es verdient, ein großer Erfolg zu werden. Und das wird es bestimmt, denn diese Bildergeschichte von der kleinen, belesenen Maus mit Erfindungsgeist und Wagemut muss man einfach mögen. Etwas anderes ist gar nicht vorstellbar!

Den ganzen Tag lang habe ich mich darauf gefreut, diese Buchempfehlung für die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus zu schreiben. Denn ich habe mich heute Morgen in Lindbergh, diese Mäusegeschichte samt der wunderbaren Bilder, wirklich Hals über Kopf verliebt. Ein Bilderbuch für Schmetterlinge im Bauch, das der Fantasie gleich mehrfach Flügel verleiht. Im NordSüd Verlag habe ich damit „mein“ Buch des Frühjahrs 2014 gefunden. Oft sind vielschichtige Bilderbücher so furchtbar kompliziert. Man kennt sie ja, die Erwachsenenbilderbücher, schwere Kost, randvoll von dem „Besonderen“, das „aus dem Rahmen fällt“. So eins ist Lindbergh nicht, obwohl es besonders ist, obwohl es aus dem Rahmen fällt.

Das fängt schon mal damit an, dass es den üblichen Bilderbuchumfang sprengt und gut doppelt so dick ist wie ein „normales“ Bilderbuch. Vor allem die Illustrationen brauchen Raum und viele Seiten, um zum Leben zu erwachen, während die Textmenge nicht ausufert. Wir lernen eine kleine Maus kennen, deren Leben sich im Jahr 1912 schlagartig ändert, als von allen Seiten Bedrohungen auf sie zukommen. Schrecklich viele Mausefallen, lauernde Katzen – es brechen wahrhaft furchterregende Zeiten an, nicht nur für die Mäuse in Hamburg. Eines Tages hat unser kleiner Mäuseheld in höchster Not eine Vision, als er seine Verwandte, die Fledermaus, sieht. Wie elegant und fern aller Feinde sie dort oben an der Decke hängt und allen Gefahren einfach entfliegen kann. Fliegen, ja, fliegen müsste man können. Nach Amerika, über den großen Teich, in die neue Welt. Dorthin sind schon viele Mäuse auf dem Schiff gereist, das weiß die kleine Maus.

So beginnt der Mäusetraum vom Fliegen. Nicht alles klappt so, wie es soll, beinahe scheitert das kühne Unterfangen. Schließlich aber wird die kleine Maus doch noch zur Pionierin der Luftfahrt – und wie das alles mit Lindbergh zusammenhängt, zeigt sich ganz am Schluss. Denn natürlich ist das Buch auch eine Hommage an die wahren Wegbereiter der modernen Luftfahrt, die in der Chronik auf den letzten Seiten vorgestellt werden. Ich verneige mich vor der Leistung des jungen Künstlers Torben Kuhlmann, Jahrgang 1982. Das Buch ist sein erstes Bilderbuch, er kommt frisch von der Uni! Was uns da wohl noch in Zukunft erwarten mag – ich freu mich drauf.