Lindbergh | Torben Kuhlmann

Lindbergh | Torben Kuhlmann Nord-Süd-Verlag

Lindbergh | Torben Kuhlmann
Nord-Süd-Verlag

Lindbergh – ein Bilderbuch in gedeckten Farben, das von düsteren Zeiten erzählt und trotzdem alles andere als traurig ist. Ein Erstlingswerk, das so atemberaubend schön ist, episch und zugleich leicht aus dem Nichts dahergeflogen kommt, hat es verdient, ein großer Erfolg zu werden. Und das wird es bestimmt, denn diese Bildergeschichte von der kleinen, belesenen Maus mit Erfindungsgeist und Wagemut muss man einfach mögen. Etwas anderes ist gar nicht vorstellbar!

Den ganzen Tag lang habe ich mich darauf gefreut, diese Buchempfehlung für die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus zu schreiben. Denn ich habe mich heute Morgen in Lindbergh, diese Mäusegeschichte samt der wunderbaren Bilder, wirklich Hals über Kopf verliebt. Ein Bilderbuch für Schmetterlinge im Bauch, das der Fantasie gleich mehrfach Flügel verleiht. Im NordSüd Verlag habe ich damit „mein“ Buch des Frühjahrs 2014 gefunden. Oft sind vielschichtige Bilderbücher so furchtbar kompliziert. Man kennt sie ja, die Erwachsenenbilderbücher, schwere Kost, randvoll von dem „Besonderen“, das „aus dem Rahmen fällt“. So eins ist Lindbergh nicht, obwohl es besonders ist, obwohl es aus dem Rahmen fällt.

Das fängt schon mal damit an, dass es den üblichen Bilderbuchumfang sprengt und gut doppelt so dick ist wie ein „normales“ Bilderbuch. Vor allem die Illustrationen brauchen Raum und viele Seiten, um zum Leben zu erwachen, während die Textmenge nicht ausufert. Wir lernen eine kleine Maus kennen, deren Leben sich im Jahr 1912 schlagartig ändert, als von allen Seiten Bedrohungen auf sie zukommen. Schrecklich viele Mausefallen, lauernde Katzen – es brechen wahrhaft furchterregende Zeiten an, nicht nur für die Mäuse in Hamburg. Eines Tages hat unser kleiner Mäuseheld in höchster Not eine Vision, als er seine Verwandte, die Fledermaus, sieht. Wie elegant und fern aller Feinde sie dort oben an der Decke hängt und allen Gefahren einfach entfliegen kann. Fliegen, ja, fliegen müsste man können. Nach Amerika, über den großen Teich, in die neue Welt. Dorthin sind schon viele Mäuse auf dem Schiff gereist, das weiß die kleine Maus.

So beginnt der Mäusetraum vom Fliegen. Nicht alles klappt so, wie es soll, beinahe scheitert das kühne Unterfangen. Schließlich aber wird die kleine Maus doch noch zur Pionierin der Luftfahrt – und wie das alles mit Lindbergh zusammenhängt, zeigt sich ganz am Schluss. Denn natürlich ist das Buch auch eine Hommage an die wahren Wegbereiter der modernen Luftfahrt, die in der Chronik auf den letzten Seiten vorgestellt werden. Ich verneige mich vor der Leistung des jungen Künstlers Torben Kuhlmann, Jahrgang 1982. Das Buch ist sein erstes Bilderbuch, er kommt frisch von der Uni! Was uns da wohl noch in Zukunft erwarten mag – ich freu mich drauf.

Schattenstill | Tana French

Tana French | Schattenstill  Fischer Verlag

Tana French | Schattenstill
Fischer Verlag

Tana French schickt Detective Mike Kennedy in „Schattenstill“ nach Broken Harbour, eine deprimierende Siedlung im Einzugsgebiet von Dublin. Hier hat sich ein furchtbares Familiendrama ereignet, zwei Kleinkinder und ihr Vater sind tot, die Mutter überlebt schwer verletzt. Kennedy begegnet während seiner Ermittlungen dem alltäglichen Grauen: Zerbrochene Lebensträume in geisterhaften Bauruinen und die verzweifelten Versuche einer Familie, sich ihre Würde und Normalität zu bewahren.

Eine junge Familie sollte in ihren eigenen vier Wänden ausgelöscht werden, doch die Mutter überlebt trotz schwerster Verletzungen. Das Drama, das sich hier abgespielt hat, gibt Rätsel auf. War es ein heimtückischer Mord, hat der Mörder seine Opfer vorher über einen längeren Zeitraum beobachtet? Einiges deutet darauf hin, anderes spricht aber auch für einen erweiterten Suizid. Für Mike Kennedy und seinen jungen Partner Richie führen die Ermittlungen auch in die Abgründe ihres eigenen Inneren.

Tana French ist eine Meisterin der Charakterstudien. Sie schreibt Krimis, in der Brutalität nicht um ihrer selbst willen detailreich ausgewalzt wird. Die Verbrechen, so entsetzlich sie auch sind, verstören weniger als die seelischen Grauen, die sich dahinter verbergen. Ich liebe die ausgefeilte Sprache und die Plots der amerikanisch-italienischen Irin ebenso wie die Zeit, die sie sich lässt, um dichte Handlungsfäden zu spinnen, die der Leser erst langsam entwirrt. Für mich ist das Krimi-Slow-Food, das Gegenteil der Fast-Food-Metzelkrimis, in denen es schnell und meistens extrem blutrünstig zur Sache geht, wo Action die Handlung dominiert. Tana French lesen heißt langsam völlig abdriften in die Welten, die sie erschafft. Bei mir kommt dann immer eine ganz spezielle, etwas melancholische Stimmung auf. Schattenstill hat mir sprachlich und inhaltlich ausgezeichnet gefallen, wie auch schon die Vorgänger Grabesgrün, Totengleich und Sterbenskalt. Es sind Kriminalromane, die meiner Erfahrung nach eher Frauen ansprechen. Sie folgen auch nicht dem typischen Muster der genau definierten Reihenfolge mit gleichen Hauptfiguren. In jedem Roman finden sich zwar Charaktere wieder, aber in völlig anderem Zusammenhang. So ist man auch Kennedy schon mal begegnet, aber erst hier lernt man ihn wirklich kennen. Und man muss eben wissen, dass Tana French zwar auf ihre eigene Art superspannend schreibt, ihre Bücher aber keine ausgesprochenen Pageturner sind. Genau das gefällt mir daran, sie sind im Krime-Genre wirklich etwas Besonderes. Und das sehen auch andere so, denn Schattenstill erreichte 2012 (als Hardcover-Ausgabe) den 9. Platz auf der Krimi-Bestenliste der ZEIT.
Im Dezember 2014 ist „Geheimer Ort“ erschienen, der aber noch auf meiner Leseliste steht.

Friedrich Engels: Barmen, Manchester & Marxismus

Engels2Ein Taschenbuch, das so (siehe Foto) aussieht, ist zweifellos gelesen – und zwar intensiv. Umtausch nicht möglich. Dabei hatte ich doch geplant, die Engels-Biographie zu Recherchezwecken (Nachtrag: Recherche für das Kapitel „Maschinen übernehmen die Arbeit“ in dem Buch Erklär mir mal Wuppertal | Geschichte und Geschichten) kurz mitzunehmen, etwas reinzublättern und pfleglich querzulesen. Anschließend wollte ich sie – natürlich in quasi druckfrischem Bestzustand – wieder ins Regal stellen. Als Buchhändlerin macht man das gelegentlich, um Kunden ein wenig mehr über Schreibstil und Inhalt erzählen zu können, als aus dem Klappentext hervorgeht. Denn nicht zu jedem Titel gibt es ein Leseexemplar und man kann unmöglich alles kaufen.

Der Engels hat nun aber einen Platz in meinem eigenen Bücherregal gefunden. Dem Autor und populären britischen Historiker Tristram Hunt mag vorgeworfen werden, er habe in seiner Biographie teilweise stark vereinfacht und inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Engels und Marx nicht erschöpfend erklärt. Ich kann nur sagen: zum Glück. Denn sonst hätte er es wohl kaum geschafft, mir, einer bislang völlig Unwissenden, die Person Friedrich Engels, sein Denken, Schaffen und die außergewöhnliche Freundschaft mit Karl Marx nahezubringen. Bourgeoisie und Proletariat, die kapitalistische Gesellschaftsordnung und das Kapital, der Marxismus als Wissenschaft, Kommunismus, Sozialismus, Hegelianismus und alle verschiedenen Strömungen – ich durchschaue das alles ehrlich gesagt nach wie vor nicht, aber ich habe immerhin eine Vorstellung davon.

Engels, der Ausbeuter wider Willen

Damit sich auch weniger historisch bewanderte Leserinnen wie ich dem Leben und Werk des Duos Marx/Engels nähern können, gewährt Hunt spannende Einblicke in die industrielle Revolution sowie in die sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts. Viel mehr als alle komplexen Theorieentwicklungen hat mich der Mensch Engels und sein persönlicher Lebensweg interessiert, insbesondere die erste Station in Manchester, beschrieben im Kapitel „Manchester in Schwarzweiß“. Als Fabrikantensohn und Angestellter bei Ermen & Engels in Manchester selbst Angehöriger der Bourgeoisie, beschrieb er in seiner Studie „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ die erbärmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiter ebenso wie die Auswüchse der Kinderarbeit und die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt. Er beobachtete und trug Fakten zusammen. Engels1Zu Einblicken „von innen“ verhalf ihm seine Freundin Mary Burns, eine irische Arbeiterin. Er lernte sie in Manchester kennen und blieb lange Jahre bis zu ihrem Tod mit ihr liiert. Engels sollte später nach „Cottonopolis“ zurückkehren, beschrieben sind diese zwiegespaltenen Jahre im Kapitel „Manchester grau in grau“ – zwei miserable Jahrzehnte, in denen er als „Baumwoll-Lord“ Marx in vielerlei Hinsicht, vor allem auch finanziell, unterstützte und nach außen hin ein Leben führte, das seinen eigenen Überzeugungen widersprach. Diese Opferbereitschaft – auch über den Tod seines Freundes Karl Marx hinaus – zieht sich durch Engels Leben, das in weiten Teilen der Pflichterfüllung und der Sache dient: Karl Marx‘ Werk zu würdigen und fortleben zu lassen. So vollendete er „Das Kapital“, indem er für die weiteren Teile trotz chronischer Bindehautentzündung Marx‘ unleserliche handschriftliche Manuskripte entzifferte, ordnete und vervollständigte. Auf Ruhm und Ehre kam es ihm nicht an – weder im Leben noch im Tod: In seinem letzten Willen verfügte er, die Urne mit seiner Asche möge im Meer versenkt werden. Bloß kein Grabstein, bloß keine Aufmerksamkeit – die gebührte allein dem großen Marx.

Tristram Hunt
Friedrich Engels: Der Mann, der den Marxismus erfand
List by Ullstein
kartoniert, 573 Seiten, 13,99 EUR
ISBN: 9783548611709
Nachtrag: Das habe ich jetzt davon: Stiltest der FAZ

Karl Marx

Laufbuchempfehlungen und das Dutzend rasende Buchhändler

Zuerst war es nur eine Idee, mehrfach verworfen, aber irgendwie doch immer im Hinterkopf: Ich wollte gerne eine richtig gute Laufbuchabteilung einrichten, mit großer Auswahl und  persönlichen Empfehlungen. Natürlich darf man dabei nicht nur an die langjährigen und besonders ambitionierten Läufer denken, sondern gerade auch Einsteiger sollen bei uns gut beraten werden.

Köndgen Kundenmagazin Laufbuchempfehlungen

Köndgen Kundenmagazin Laufbuchempfehlungen

Nun ist es soweit, wir haben in der Filiale Barmen ein tolles, vielfältiges  Sortiment am Lager. Im Magazin habe ich mich auf die vier Highlights beschränkt – in unseren Regalen stehen aber natürlich weitaus mehr Titel, darunter auch etliche Bücher zur Trainingssteuerung in Sachen Halbmarathon und Marathon. Man kann überall hineinblättern, stöbern und  sollte etwas fehlen, auch gerne unverbindlich zur Ansicht bestellen. Keine Zeit oder Gelegenheit persönlich in den Laden zu kommen? Auch das ist kein Problem –  Bücher Köndgen versendet ab einem Bestellwert von 20 Euro versandkostenfrei! Ich würde mich freuen, wenn ein paar Bestellungen den Weg zu uns statt zu Amazon finden würden!

Durch diese ganze Aktion sind Chefs und Kolleg/inne/n so motiviert worden, dass die Buchhandlung in diesem Jahr am 12.06. erstmals beim Firmenlauf auf der Sambatrasse am Start ist, gleich mit einem Dutzend flotter Buchhändler! Ich werde berichten!

Laues Lüftchen oder Nordwind? „Alle sieben Wellen“

Glattauer_WellenIch hab sie gelesen, die von vielen erwartete, ja geradezu ersehnte und erflehte Fortsetzung. Hier nun meine Meinung zum Buch:

Wunschkonzert für Leo und Emmi

Ich war ein wenig verliebt in den Leo, und in Emmi irgendwie auch. Und  in den Glattauer, der sich das alles so herrlich ausgedacht hatte im Nordwind. Und in Sawatzki und den Berkel, die sich so schön die E-Mails zugesprochen haben, war ich auch gleich mit verliebt. Das Ende war hart, so, wie das Leben halt manchmal – oder sogar meistens – ist.. Aus und Schweigen im Postfach.

Und nun wird fortgesetzt. Ich habe mich wirklich und ehrlich bei aller Skepsis um Unvoreingenommenheit bemüht. Ich wollte so gerne, dass es mir gefällt, dass es mich nochmal packt.

Aber nein, es war, als sei mir die rosarote Brille der anfänglichen Verliebtheit in die Protagonisten abhandengekommen. Emmis schon immer leicht penetrante, aber im ersten Teil noch sympathische Ader, nervte. Leo, schwülstig bis zum Gehtnichtmehr und auch im Suffkopp noch akkurate Texte tippend, ging mir auch zunehmend auf den Keks. Es zog sich.

Ich hatte das Gefühl, dass sich Herr Glattauer unheimlich bemüht hat. Der Kunstgriff mit dem plötzlich nochmal auftauchenden Systemmanager war aber wirklich mein persönlicher Knotenpunkt, an dem ich dachte, das darf doch jetzt nicht wahr sein, was für eine Klamottenkiste. Dann nochmal überflüssigerweise der Bernhard-Text in voller Länge – ach ja, Emmi kannte ihn ja noch nicht. Füllte ja auch noch mal ein paar Seiten mit Buchstaben, so wurde die 200er Marke geknackt.

Und am – absehbaren – Ende kriegen sie sich. Na, nun hat die arme Seele endlich Ruhe. Und ich bin traurig, hab’ wohl Liebeskummer.

Ungeachtet meiner persönlichen Meinung ist das Buch ja jetzt schon ein kommerzieller Erfolg, und es gefällt ja auch anscheinend den meisten LeserInnen. Insofern hat der Glattauer das ganz richtig gemacht und der Erfolg sei ihm und das Gefallen den LeserInnen herzlich gegönnt. Auch Frau Heidenreichs Meinung fällt anders aus, sie ist angetan. Schön für sie und alle, die es mögen. Ich hätte  mir das auch gewünscht.