Friedrich Engels: Barmen, Manchester & Marxismus

Engels2Ein Taschenbuch, das so (siehe Foto) aussieht, ist zweifellos gelesen – und zwar intensiv. Umtausch nicht möglich. Dabei hatte ich doch geplant, die Engels-Biographie zu Recherchezwecken (Nachtrag: Recherche für das Kapitel „Maschinen übernehmen die Arbeit“ in dem Buch Erklär mir mal Wuppertal | Geschichte und Geschichten) kurz mitzunehmen, etwas reinzublättern und pfleglich querzulesen. Anschließend wollte ich sie – natürlich in quasi druckfrischem Bestzustand – wieder ins Regal stellen. Als Buchhändlerin macht man das gelegentlich, um Kunden ein wenig mehr über Schreibstil und Inhalt erzählen zu können, als aus dem Klappentext hervorgeht. Denn nicht zu jedem Titel gibt es ein Leseexemplar und man kann unmöglich alles kaufen.

Der Engels hat nun aber einen Platz in meinem eigenen Bücherregal gefunden. Dem Autor und populären britischen Historiker Tristram Hunt mag vorgeworfen werden, er habe in seiner Biographie teilweise stark vereinfacht und inhaltliche Auseinandersetzungen zwischen Engels und Marx nicht erschöpfend erklärt. Ich kann nur sagen: zum Glück. Denn sonst hätte er es wohl kaum geschafft, mir, einer bislang völlig Unwissenden, die Person Friedrich Engels, sein Denken, Schaffen und die außergewöhnliche Freundschaft mit Karl Marx nahezubringen. Bourgeoisie und Proletariat, die kapitalistische Gesellschaftsordnung und das Kapital, der Marxismus als Wissenschaft, Kommunismus, Sozialismus, Hegelianismus und alle verschiedenen Strömungen – ich durchschaue das alles ehrlich gesagt nach wie vor nicht, aber ich habe immerhin eine Vorstellung davon.

Engels, der Ausbeuter wider Willen

Damit sich auch weniger historisch bewanderte Leserinnen wie ich dem Leben und Werk des Duos Marx/Engels nähern können, gewährt Hunt spannende Einblicke in die industrielle Revolution sowie in die sozialen Verhältnisse des 19. Jahrhunderts. Viel mehr als alle komplexen Theorieentwicklungen hat mich der Mensch Engels und sein persönlicher Lebensweg interessiert, insbesondere die erste Station in Manchester, beschrieben im Kapitel „Manchester in Schwarzweiß“. Als Fabrikantensohn und Angestellter bei Ermen & Engels in Manchester selbst Angehöriger der Bourgeoisie, beschrieb er in seiner Studie „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ die erbärmlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Fabrikarbeiter ebenso wie die Auswüchse der Kinderarbeit und die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt. Er beobachtete und trug Fakten zusammen. Engels1Zu Einblicken „von innen“ verhalf ihm seine Freundin Mary Burns, eine irische Arbeiterin. Er lernte sie in Manchester kennen und blieb lange Jahre bis zu ihrem Tod mit ihr liiert. Engels sollte später nach „Cottonopolis“ zurückkehren, beschrieben sind diese zwiegespaltenen Jahre im Kapitel „Manchester grau in grau“ – zwei miserable Jahrzehnte, in denen er als „Baumwoll-Lord“ Marx in vielerlei Hinsicht, vor allem auch finanziell, unterstützte und nach außen hin ein Leben führte, das seinen eigenen Überzeugungen widersprach. Diese Opferbereitschaft – auch über den Tod seines Freundes Karl Marx hinaus – zieht sich durch Engels Leben, das in weiten Teilen der Pflichterfüllung und der Sache dient: Karl Marx‘ Werk zu würdigen und fortleben zu lassen. So vollendete er „Das Kapital“, indem er für die weiteren Teile trotz chronischer Bindehautentzündung Marx‘ unleserliche handschriftliche Manuskripte entzifferte, ordnete und vervollständigte. Auf Ruhm und Ehre kam es ihm nicht an – weder im Leben noch im Tod: In seinem letzten Willen verfügte er, die Urne mit seiner Asche möge im Meer versenkt werden. Bloß kein Grabstein, bloß keine Aufmerksamkeit – die gebührte allein dem großen Marx.

Tristram Hunt
Friedrich Engels: Der Mann, der den Marxismus erfand
List by Ullstein
kartoniert, 573 Seiten, 13,99 EUR
ISBN: 9783548611709
Nachtrag: Das habe ich jetzt davon: Stiltest der FAZ

Karl Marx

Als James Cook seine letzte Reise tat

Enqist_Reise_Es ist schon lange her, dass ich einen historischen Roman gelesen habe. Zu Jugendzeiten konnte mir kein Historienschmöker dick genug sein, von “Sinuhe, der Ägypter” über “Shogun” las ich mich quer durch verschiedene Kulturen und Epochen. Gerne durften es auch ganz triviale Südstaatensagas wie “Kalifornische Sinfonie” sein. Aber irgendwann verlor ich das Interesse und beschäftigte mich mehr mit dem Horror-Genre. Stephen King kam damals ganz groß raus, im Schlepptau Autoren wie Koontz, Strieber und Konsorten. Auch das ist längst vorbei und die Horror-Sammlung anlässlich des Umzugs versteigert – die Bücher aus späteren Phasen durften aber allesamt mit in die neue Wohnung, denn das waren dann schon Autoren und Themen, die mich immer noch begeistern: Stefan Zweig, Klaus Mann (und natürlich die anderen aus dem Mann-Clan, aber mit Klaus’ Leben und Sterben habe ich mich besonders intensiv beschäftigt), Patricia Highsmith, Ray Bradbury und ganz viel Lyrik.

Auf der Suche nach einem neuen Leseexemplar wanderte die “Letzte Reise” eher zufällig in meine Tasche, es lag da, ich war in Eile und es passte vom Format so gerade noch mit rein. Naja, mal ein wenig querlesen, so dachte ich…

Mehrere Abende habe ich nun mit Frau Cook verbracht, habe Anna Enquists klare Sprache genossen und musste manchmal mit Gewalt die melancholische Stimmung beim Zuklappen des Buches abschütteln. Ich versank in Elizabeths Welt, denn von ihr und ihrem Kosmos, der so viel kleiner ist als der ihres berühmten Ehemannes James, handelt die Geschichte.

Diese Frau ist mit über 90 Lebensjahren verstorben, alle, alle hat sie überlebt – ihre Kinder, ihren Mann, die Menschen, die ihr nahestanden.  Manchmal habe ich vergessen, dass ich nur einen Roman lese, so dicht am Geschehen, in der Gedankenwelt fühlte ich mich.

Dass mich die Geschichte wirklich begeistert und fasziniert hat, zeigte sich daran, dass ich anfing, die Fakten nachzulesen, alles zu “ergoogeln”, was über die Protagonisten (oberflächlich) zu erfahren war, über James Cook, Hugh Palliser und natürlich die Frau in Warteposition: Elizabeth. Ich habe mich zuvor kein Stück für Seefahrt interessiert, kannte natürlich schlagwortartig die Begriffe Cook, Endavour usw. – mehr aber auch gewiss nicht. Das hat sich nun geändert, und ich finde es immer sehr schön, wenn ich mich motiviert fühle, den Horizont ein wenig zu erweitern.